Factiva Dow Jones & Reuters

KONJUNKTUR Zurück zu Keynes.

Von Afhüppe, Sven.
1,755 words
11 October 2001
WirtschaftsWoche - Genios
German
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Nach den Terroranschlägen setzen die USA und Europa auf staatliche Ausgabenprogramme - ein Rezept, das schon einmal scheiterte.

Nicht hektisch reagieren, aber das Wachstum klar im Auge behalten. Mit dieser Marschparole traten Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein französischer Amtskollege Lionel Jospin nach einem Treffen am vergangenen Freitag in Paris vor die Journalisten. Ein Abweichen vom Europäischen Stabilitätspakt, beteuerten beide, komme nicht infrage. Nichts fürchten die beiden linken Regierungschefs mehr als Zweifel an der Solidität ihrer Finanzpolitik.

Was von solchen Schwüren zu halten ist, offenbarte Jospin schon am nächsten Tag. Da beschloss Jospins sozialistische Regierungspartei ein Sofortprogramm zur Konjunkturankurbelung finanziert durch höhere Schuldenaufnahme. Und Schröder wusste feinsinnig zwischen nationalen Konjunkturprogrammen ("Strohfeuer") und solchen auf EU-Ebene zu unterscheiden, die er sich durchaus vorstellen könne, wenn das Wirtschaftswachstum weiter sinke. Damit hält er sich die Option für Ausgabenprogramme offen, wenn die Arbeitslosenzahlen im nächsten Winter in Richtung vier Millionen steigen und er vor den Wahlen Handlungsfähigkeit demonstrieren will. Sein Wahlversprechen, die Arbeitslosenzahlen bis 2002 unter 3,5 Millionen zu drücken, kann Schröder wegen der Konjunkturschwäche ohnehin nicht einhalten. Intern gehen auch die Fachleute im Finanzministerium nur noch von einem Wachstum von einem Prozent in diesem Jahr aus.

Schröder braucht dann nur noch die entsprechenden Ratschläge zu befolgen. Schon jetzt werden die Rufe nach staatlichem Handeln in Wirtschaft und Wissenschaft lauter: Nachdem Hans-Werner Sinn vom Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung für ein "Konjunkturprogramm auf G8-Ebene" plädiert, sollte die Abwärtsbewegung anhalten, empfiehlt nun auch Klaus Zimmermann, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, ein "koordiniertes Infrastrukturprogramm für Europa". Auch prominente Manager machen sich für staatliche Interventionen stark: Fluggesellschaften rufen nach Unterstützung, VW-Chef Ferdinand Piëch fordert eine staatliche Verschrottungsprämie zur Ankurbelung des Autoabsatzes, Deutsche-Bank-Chef Rolf-Ernst Breuer wünscht sich neben Zinssubventionen ein Hilfsprogramm für die Infrastruktur in zweistelliger Milliardenhöhe.

Stefan Homburg, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Hannover, wundert sich: "Kaum ist die Krise da, hat Keynes wieder Konjunktur." Unter Berufung auf den englischen Ökonomen und Politiker John Maynard Keynes war in den Sechziger-und Siebzigerjahren in den westlichen Industrieländern die Nachfragetheorie en vogue geworden: Im Fall eines Einbruchs der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage sollte der Staat durch "Deficit spending", also ein kreditfinanziertes Konjunkturprogramm, gegensteuern.

Ausgerechnet die USA, vor wenigen Wochen noch von den Globalisierungsgegnern als Bannerträger des Neoliberalismus geziehen, machten den Anfang. 55 Milliarden Dollar Nothilfe hat die Regierung von George W. Bush nach den Terroranschlägen bereits zugesagt, zusätzlich wurde vergangene Woche der reguläre Haushalt um 25 Milliarden Dollar aufgestockt. Zusammen mit dem von der Regierung beschlossenen Konjunkturprogramm, 60 bis 75 Milliarden Dollar schwer, kommen somit 150 Milliarden Dollar zusammen ein gigantisches Paket zur Ankurbelung der Wirtschaft, das rund 1,5 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts entspricht. Allerdings: In den USA wird nicht Keynes pur betrieben. Der Hauptteil des Programms besteht aus Steuersenkungen, die langfristig höhere Leistungsanreize und Wachstum schaffen. Zusätzliche staatliche Nachfrage macht nur den geringeren Teil des Programms aus.

Wohl deshalb gibt es kaum Widerspruch gegen den Kurs. Selbst Zentralbankchef Alan Greenspan macht sich offenbar inzwischen für eine gemäßigte Rückkehr zu Keynes stark. Der sonst entschieden wirtschaftsliberal argumentierende Vorsitzende des Federal Reserve Board soll Kongressabgeordnete sogar gedrängt haben, mindestens 100 Milliarden Dollar für die Stimulierung der Konjunktur zu spendieren.

Dem amerikanischen Leitwolf folgen jetzt immer mehr europäische Staaten. Wie Frankreichs sozialistischer Premier denkt auch sein italienischer Kollege Silvio Berlusconi an zusätzliche Investitionsanreize für Unternehmen. Spaniens Regierungschef José María Aznar will den Steuersatz für Veräußerungsgewinne senken.

Auch die EU wird weich. Zwar scheut sie sich, wenige Tage vor der Einführung des Euro-Bargelds die strengen Zügel des Europäischen Stabilitätspakts zu lockern. Deshalb betonte Währungs-und Wirtschaftskommissar Pedro Solbes vor dem Europaparlament in Straßburg, er gelte "nicht nur in guten, sondern auch in schlechten Zeiten". Doch im Widerspruch zu diesen Sonntagsreden hat Brüssel die strenge Interpretation der Defizitregeln des Stabilitätspakts bereits gelockert: Für jeden Prozentpunkt, um den Europas Wachstum sinkt, darf das Defizit der Euro-Länder insgesamt um einen halben Prozentpunkt steigen. Kein Wunder: Hatten die Europäer zu Beginn des Jahres die Talfahrt in erster Linie auf die USA beschränkt gesehen, nimmt nun die Angst vor einem tieferen Konjunktureinbruch auch auf dem Alten Kontinent zu. Solbes zufolge steht Europa bereits "am Rand der Rezession" und Keynes vor einer Renaissance.

Die mit dem Namen Keynes verbundene Konjunkturpolitik war in den Sechzigerjahren zuerst in Großbritannien unter Labour entwickelt worden und führte dort zum Ausbau des Wohlfahrtsstaats mit immer größerem Staatseinfluss und höherer Steuerbelastung. Dem Charme, den die Lehre von Keynes versprühte, konnte sich damals aber kaum ein Regierungschef der westlichen Industrienationen entziehen. In den USA, wo die Ausgabenprogramme weniger sozialstaatlichen Zielen als der Finanzierung des Vietnamkrieges dienten, erklärte der republikanische Präsident Richard Nixon, "wir sind jetzt alle Keynesianer". Zu attraktiv erschien Politikern die Möglichkeit, Wirtschaftskrisen mit kräftigen Ausgabesteigerungen des Staates zu beheben.

Mit ihren Modellen zur konjunkturellen Feinsteuerung konnten sich die Keynesianer aber nur teilweise auf Keynes berufen. Ausgangspunkt von dessen Theorie war die Weltwirtschaftskrise nach 1929. Anders als dies die klassische Wirtschaftstheorie vorhersagt, hatten damals selbst niedrige Zinsen die Unternehmen nicht mehr zu Investitionen angeregt, weil sie keine Chance sahen, ihre Produkte auch abzusetzen. Die Schlussfolgerung des Ökonomen: In einem solchen Fall, der so genannten Liquiditätsfalle, muss der Staat einspringen, Kredite aufnehmen und damit zusätzliche öffentliche Investitionen etwa in Straßen, Schulen oder Kanalisation finanzieren.

Was Keynes als Ausweg aus der Weltwirtschaftskrise empfohlen hatte, wollten seine Epigonen nun zur generellen Konjunktursteuerung anwenden. In der Praxis scheiterte das Konzept jedoch vor allem aus zwei Gründen: So gelang es fast nie, den Wendepunkt von Konjunkturzyklen richtig einzuschätzen. Die Folge: Die im Abschwung hastig konzipierten Ausgabenpogramme kamen zu spät, um die Talfahrt noch zu stoppen. Sie entfalteten ihre Wirkung erst, als sich die Konjunktur ohnehin schon wieder belebt hatte, sie wirkten prozyklisch und inflationär.

Anders, als dies Keynes forderte, sparten die Politiker auch nicht in dem auf die Krise folgenden Aufschwung und bauten somit weder Schulden ab noch Reserven für den nächsten Abschwung auf.

So endete das Experiment der Nachfragesteuerung Ende der Siebzigerjahre weltweit in einer doppelten Pleite: Die Konjunktur bekam sie nicht in den Griff, und von Abschwung zu Abschwung stiegen Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit und Inflation, während gleichzeitig der Wachstumspfad flacher wurde.

In Deutschland beispielsweise legten die SPD-geführten Regierungen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt zwischen 1969 und 1982 insgesamt neun Konjunkturprogramme mit einem Volumen von fast 60 Milliarden Mark auf. Vor allem ein Mann stand hier für die keynesianische Wirtschaftsphilosophie: Karl Schiller. Aber nachdem schon Finanzminister Alex Möller aus Protest gegen seine ausgabefreudigen Genossen zurückgetreten war, weil die im Boom partout nicht auf seine Sparvorschläge eingehen wollten, scheiterte 1972 auch der inzwischen zum Superminister für Wirtschaft und Finanzen aufgestiegene Schiller daran, dass die Sozialdemokraten von antizyklischer Fiskalpolitik im Sinne Keynes nichts hielten und trat enttäuscht zurück.

Als Folge dieser Konjunkturpolitik explodierte dann der Schuldenberg um knapp eine halbe Billion Mark auf 615 Milliarden Mark. Gleichzeitig kletterte die Staatsquote von 39 auf über 50 Prozent, während die Beschäftigung nur in bescheidenem Ausmaß stieg.

Staatliche Nachfragepolitik fand deshalb auch immer weniger Anhänger. Mit den Achtzigerjahren begann der Siegeszug der Angebotspolitik. Deregulierung, Privatisierung, Steuersenkung, Verstetigung der Finanz-und Geldpolitik hießen die Elemente dieses Konzepts. Während Europa aber mit Ausnahme von Großbritannien diese Rezepte nur halbherzig anwandte, konnten die USA auf dieser Grundlage den langen Boom der Neunzigerjahre begründen.

Dass die Neuauflage keynesianischer Politik in den USA erfolgreich sein wird, ist zweifelhaft. Viele Elemente aus George W. Bushs Programmen sind zwar tendenziell sinnvoll, weil sie Investitionsanreize verbessern und mittel-und langfristig die Wachstumsaussichten der US-Wirtschaft aufhellen. Kurzfristig aber nützt das wenig, solange die Nachfrage schwächelt und weite Teile der Wirtschaft auf Überkapazitäten sitzen. Den Konsum durch Steuersenkungen zu stärken, ist kurzfristig ebenfalls nicht sonderlich viel versprechend, weil ein großer Teil des Geldes gespart und nicht ausgegeben werden würde.

Selbst wenn der Staat im Einklang mit der keynesianischen Theorie das Geld selbst für Käufe ausgibt, wären die Wirkungen begrenzt, wie Ökonomen der Fed errechnet haben. Zieht nämlich gleichzeitig die Notenbank die Zinsen an, um die inflationären Gefahren der lockeren Finanzpolitik zu neutralisieren, liegt das Bruttoinlandsprodukt schon nach wenigen Jahren um 0,6 Prozent niedriger als bei stetiger, solider Finanzpolitik. Eine kurzzeitige Ankurbelung der Konjunktur würde also letztlich mit einer dauerhaft höheren Staatsquote und dauerhaft geringerem Wohlstand erkauft.

Dass Ausgabenprogramme und Geldpolitik prozyklisch wirken, besteht auch jetzt wieder zu fürchten. Um volle 400 Basispunkte hat Alan Greenspan den wichtigsten Leitzins seit Jahresanfang gesenkt. Zinssenkungen entfalten ihre Wirkung aber erst nach durchschnittlich drei Quartalen sie sind daher noch gar nicht in der Realwirtschaft angekommen. Das jetzt aufgelegte keynesianische Konjunkturprogramm könnte sich somit als Überdosis erweisen. "Eine sehr reale Gefahr einer Überhitzung der Konjunktur" sieht bereits Allan Meltzer, Geldtheoretiker an der Carnegie-Mellon University in Pittsburgh.

Auch für Deutschland bietet Keynes keine Perspektive. Thomas Mayer, Chefvolkswirt von Goldman Sachs, warnt vor "konjunkturpolitischem Aktionismus, auch wenn gerade in Krisenzeiten der Ruf nach staatlichen Subventionen populär ist". Im Gegensatz zu den USA hat Deutschland mit dem höchsten Haushaltsdefizit in der Euro-Zone gar nicht den Spielraum für ein milliardenschweres Konjunkturpaket. Mayer: "Die US-Regierung hat jahrelang gespart und Überschüsse im Staatshaushalt erwirtschaft die können sich Konjunkturprogramme leisten."

KRIEG.

NUR STROHFEUER.

Rüstungsprogramme und Krieg kurbeln keineswegs, wie landläufig angenommen wird, die Wirtschaft an. Sie verursachen allenfalls ein konjunkturelles Strohfeuer, bringen die Wirtschaft aber nicht auf einen langfristig höheren Wachstumspfad, weil sie die Produktivität der Wirtschaft kaum erhöhen. So ließ die massive Aufrüstung im Zuge des Zweiten Weltkrieges die US-Wirtschaft zwar mit zweistelligen Jahresraten wachsen. 1950 und 1951, den ersten beiden Jahren des Korea-Kriegs, stieg das Bruttoinlandsprodukt insgesamt um fast 17 Prozent. Der Kater folgte allerdings stets um so stärker: Ob Zweiter Weltkrieg, Korea-, Vietnam-oder Golfkrieg jedes Mal schlitterte die US-Wirtschaft anschließend in eine Rezession. 1946 etwa brach die amerikanische Wirtschaftsleistung um über elf Prozent ein (siehe Grafik Seite 23).

Ohnehin spricht wenig dafür, dass für die USA vom Krieg gegen den Terror ähnliche konjunkturelle Kurzzeitimpulse ausgehen werden wie von den früheren Kriegen. Inflationsbereinigt hat zum Beispiel der Koreakrieg den amerikanischen Staat rund 400 Milliarden Dollar gekostet ein Betrag, der etwa einem Viertel der damaligen jährlichen US-Wirtschaftsleistung entsprach. Auf heutige Verhältnisse übertragen, hieße das: Die US-Regierung müsste binnen weniger Jahre rund 2,5 Billionen Dollar ausgeben ungefähr das Hundertfache der Summe, die für das gerade begonnene Haushaltsjahr zusätzlich zur Terrorismusbekämpfung bereitgestellt werden soll.

Zusätzlich dämpft, dass der Krieg gegen den Terror auch auf eigenem Boden ausgetragen wird. Verstärkte Sicherheitskontrollen etwa behindern den grenzüberschreitenden Güter-und Kapitalverkehr, sie sind "Sand im Getriebe der Globalisierung", urteilt Stephen Roach, Chefökonom von Morgan Stanley Dean Witter. Gersemann, Olaf Gräf, Peter Leo Handschuch, Konrad.

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