Factiva Dow Jones & Reuters

Die so genannte soziale Marktwirtschaft wurde immer nur schöngeredet.

666 words
9 April 2002
Frankfurter Rundschau
German
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D ASP4 Dokumentation

Zu Vom schädlichen Rückzug der sichtbaren Hand des Staates (FR vom 2. April 2002) von Herbert Ehrenberg: Wenn Wirtschaftsminister Werner Müller in seinem Vorwort zum "Wirtschaftsbericht 99" feststellt: "Die Soziale Marktwirtschaft wird seit Jahren langsam, aber stetig unsozialer ...", so ist ihm in aller Deutlichkeit entgegenzuhalten, dass diese sog. soziale Marktwirtschaft doch zu keiner Zeit je das gewesen ist, was von ihr stets behauptet wurde, nämlich "sozial", weder im theoretischen Ansatz noch in der Praxis. Der Sozialökonom Eduard Heimann (1889-1967) hat dies in seinem Buch Vernunftglaube und Religion in der modernen Gesellschaft schon Mitte der fünfziger Jahre festgestellt, als er neoliberalen Professoren eine glänzende Leistung im Aufbau eines höchst erfolgreichen, aber ziemlich antisozialen, das heißt rein ökonomischen Kapitalismus bescheinigte. Sie ist immer nur schöngeredet, sie ist zu einem "Mythos" geworden. Mythen verstellen aber bekanntlich den Blick für die Realität.

Was ist denn das spezifisch "Soziale" der "sozialen Marktwirtschaft"? Nach Ludwig Erhard - gilt ja bekanntlich als derjenige, der den Entwurf der sozialen Marktwirtschaft politisch umgesetzt hat - ist die Marktwirtschaft als solche sozial, weil sie frei und sofern sie eine Wettbewerbswirtschaft ist. Friedrich August von Hayek, der uns in einem Buchtitel weismachen will, dass jede Art von Lenkung bedeute, den "Weg zur Knechtschaft" zu beschreiben, hat gesprächsweise gegenüber Erhard einmal darauf hingewiesen, dass es ein Fehler sei, das Wort "sozial" dem Begriff Marktwirtschaft hinzufügen, da es überflüssig sei; der Markt sei in sich eine soziale Institution.

Erhard gab ihm Recht, fügte aber hinzu, dass die Deutschen den freien Markt ohne das Wort "sozial" nicht annehmen würden. Das klingt penetrant nach der von Volkmar Muthesius - er war eine der Herolde der sozialen Marktwirtschaft in deren Frühzeit bis in die siebziger Jahre hinein - überlieferten Sentenz: "Wir sagen soziale Marktwirtschaft, weil das gut klingt, meinen aber selbstverständlich die liberale Marktwirtschaft."

Im Grunde kann man nur immer wieder verwundert den Kopf schütteln, dass das Märchen von der sog. sozialen Marktwirtschaft nicht aus den Köpfen der Menschen verschwindet.

Aber an diesbezüglicher Aufklärung besteht nicht das mindeste Interesse; wenige Ausnahmen bestätigen die Regel. Die von den Medien - insbesondere von der Wirtschaftspresse -, aber auch von großen Teilen der Wissenschaft unter die Leute gebrachte Wirtschaftsideologie und die damit einhergehende Manipulation der öffentlichen Meinung spotten jeder Beschreibung.

Man wird den Verdacht nicht los, dass die "Brigade Erhard" bis heute ihre Nachfolger gefunden hat und wie eh und je die Mystifizierung ihres Helden und seiner sog. sozialen Marktwirtschaft betreibt. Bei der "Brigade Erhard" handelte es sich um eine Gruppe maßgeblicher und einflussreicher Wirtschaftsjournalisten, Ministerialbeamten, Bundestagsabgeordneten, die sich Anfang der 50er Jahre zusammenfand und die sich die Mehrung des Ruhms ihres Helden und seiner sozialen Marktwirtschaft zum Ziel gesetzt hatte.

Wer den Markt, wie das Erhard und seine neoliberalen Freunde tun, zum gesellschaftlichen und kulturellen Regelungsmechanismus hochstilisiert, hat natürlich auch ein ganz bestimmtes Staatsverständnis.

Er braucht einen starken Staat als Ordnungs-und Polizeistaat, der für Ruhe und Ordnung sorgt (Law and Order), sich aber im Übrigen aus den politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen, besonders den wirtschaftlichen und sozialen, heraushält (schwacher Staat). Anders formuliert: Keine Eingriffe in das Wirtschaftsleben, in gesellschaftliche und soziale Vorgänge, wohl aber eine starke Polizei mit allen modernen Hilfsmitteln, die eine eventuelle Aufmüpfigkeit der "Leistungsschwachen", der "Erfolglosen", der "Nivellierer", der "Nichtangepassten" sofort dämpfen kann. Das ist das konservativ-altliberale wie neuliberale Konzept.

Was aber die jetzige Situation so fast ausweglos macht, ist dies, dass auch die Sozialdemokratie schon seit längerem sich dieser Philosophie verschrieben hat, denn unverkennbar haben die derzeit in der SPD maßgebenden Kreise sich Ludwig Erhard und seine neoliberale Wirtschaftsphilosophie zum Vorbild erkoren. Es besteht deshalb fürwahr kein Grund, Schröder zu wählen, es besteht aber auch kein Grund, Stoiber die Stimme zu geben. Solange die Wähler und Wählerinnen nur zwischen der CDU/CSU und der SPD hin und her hüpfen, bekommen wir zwar von Zeit zu Zeit einen Austausch von Personen an der Spitze unseres Gemeinwesens, aber keine andere Politik.

Wer das will, sollte sich seine Wahlentscheidung diesmal besonders gründlich überlegen.

Oskar Faus, Dudenhofen.

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